Dienstag, 25. Oktober 2011

Gentrifizierung in Flensburg



Aufwertung, Vertreibung...


Dass die viel diskutierte Gentrifizierung nicht allein das Problem von Großstädten wie Hamburg oder Berlin ist, lässt sich in Flensburg überdeutlich sehen. Im Kern bedeutet Gentrifizierung die Aufwertung von Stadtteilen für einkommensstärkere MieterInnen, einhergehend mit der Vertreibung all jener, die sich das bleiben nicht leisten können.
Die Flensburger Innenstadt beispielsweise ist in den letzten Jahren immer stärker in ein kleinbürgerliches Shoppingparadies verwandelt worden. Mit Hilfe des schleswig-holsteinischen PAKT-Gesetzes hat sich die Stadt den Rückhalt der örtlichen Ladenbesitzer gesichert und damit den öffentlichen Raum teilprivatisiert. Vielbeschworene „Bürgerbeteiligung“ heisst in Flensburg konkret „Einfluss nach Geldbeutel“. Befürchtungen linksgerichteter ewiger Nörgler haben sich mittlerweile bewarheitet: Obdachlose, Straßenpunks, „Penner“, BettlerInnen und „Schmarotzer“ - kurz, jeder der nicht in das touristische Wunschbild passt, ist in der neuen Glitzerwelt unerwünscht.
Bildlichen Ausdruck fand diese Vertreibungspolitik in Form eines Holzkastens zur linken Seite des Eingangs des Einkaufszentrums „Flensburger Galerie“ in der Angelburger Straße. Vor einem, durch den Bau des Einkaufszentrums unbewohnbar gewordenen, Haus hatte sich ein lokaler Treffpunkt für eine bunte Gruppe von Menschen gebildet, die nicht so recht ins gewünschte Stadtbild passte. Das Flensburger Tageblatt geiferte gegen diesen „letzten Schandfleck“ und erging sich in bunten Fantasien darüber, dass diese Menschen ihr Bier ja wohl keinesfalls in der Galerie gekauft hätten – als ob der lokale REWE kein Öttinger führen würde. Doch das ist gar nicht der springende Punkt: in naiver Offenheit wurde klargestellt, wer nicht zum shoppen da ist, hat in der Innenstadt offensichtlich nichts verloren. Fehlen nur noch Einlasskontrollen, bei denen überprüft wird, ob mensch auch ja Geld in der Tasche hat.
Die Politik der Innenstadt soll, wenn es nach dem Stadtrat geht, auf weite Teile der Stadt ausgedehnt werden. In der Harrisleer Straße bemüht die Stadt sich, ein multikulturelles Flair der Neustadt zu beschwören, um ein liberales, gutbetuchtes Klientel in die Wohnungen zu locken – die bisherigen BewohnerInnen, die genau dieses Flair geschaffen haben, werden schonmal aus der Straße gedrängt und haben sich gefälligst am Stadtrand neu anzusiedeln. Die längeren Fahrtwege können sie dann ja mit einem immer teureren öffentlichen Nahverkehr bewältigen...
In der kommunalen Politik scheint man sich nur dann über den Kurs der Stadtpolitik zu streiten, wenn die Interessen der Geschäftswelt miteinander kollidieren und beispielsweise ein Supermarkt sich durch die Baupläne der Konkurrenz bedroht sieht. Wer sich aber keine Freunde im Stadtrat leisten kann, ist der Stadtplanung hilflos ausgeliefert.


...und Wohnungsnot

Und während die Politik so fleissig dabei ist, die Stadt nach den Interessen der Geschäftswelt neu zu gestalten, geht mal eben der Wohnraum aus. Geschichten von StudentInnen, die sich in Altenheimen einmieten machen die Runde und fast scheinen bald Hamburger Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt zu drohen, während sich die Stadt still und heimlich der letzten Reste kommunalen Immobilienbesitzes entledigt – und damit auch jeglicher Möglichkeit, auf den Wohnungsmarkt direkt Einfluss zu nehmen. Überlegungen zur Förderung von Wohnraum oder der soziale Wohnungsbau werden wohl mit Verweis auf die Kassenlage zur Seite gewischt. Die Aufhübschung der Stadt für Touristen hat die Kassenlage hingegen noch nie gestört.
Wie zum Hohn ist Flensburg dabei voller leerstehender Gebäude (in Teils hervorragendem Zustand). Orte wie der Kaysers Hof, das Eckener Haus oder das ehemalige Roxy-Grundstück finden aber immer nur dann Erwähnung wenn es um das nächste „ambitionierte“ oder „zukunftsweisende“ Projekt für den wohlhabenden Mittelstand geht. Dass es zum Beispiel gerade bei letztgenannten Grundstück ganz konkrete Wünsche der Anwohner gibt, die Leerfläche als Park zu nutzen, auch um nicht durch einen noblen Neubau die umliegenden Mietpreise in die Höhe schnellen zu lassen, erfährt nur, wer AnwohnerInnen kennt.
Es hilft nichts, darauf zu warten, dass „der Markt“ auf die Nachfrage nach günstigem Wohnraum reagiert. Denn Aufgabe der Profitwirtschaft ist es nicht, die Nachfrage zu befriedigen, sondern größtmöglichen Profit aus dieser Nachfrage zu schlagen. Sobald das Angebot an Wohnraum steigt, sinken die Mietpreise und damit die Profitrate. Die Erfahrung zeigt, dass sich das Angebot von günstigem Wohnraum unter diesen Bedingungen meist irgendwo zwischen wenig und viel zu wenig einpendelt – zu Lasten all jener, die einfach nur angemessen leben möchten.
Dem Autor eines Artikels im Flensburger Tageblatt zufolge bietet sich einem bei Wohnungsnot „als letzte Alternative immer noch der Gang zum Schwarzen Brett an.“ Möglich wäre aber auch: als letzte Alternative bietet sich immer noch der Gang zum schwarzen Block an – um in eigener Regie Leerstand in Wohnraum zu verwandeln.
Deswegen: Samstag 19. November um 15:00 am Südermarkt. Stadtplanung selber machen!